Das Interview wurde von Georg Kern geführt und wurde zuerst im bahn manager Magazin Ausgabe 02/2024 veröffentlicht.
Herr Tessmer, das kennt wohl jeder: Man will im Zug telefonieren, aber die Verbindung bricht ständig ab. Wie kann es sein, dass dieses Problem im Jahr 2024 immer noch so häufig auftritt?
Dafür gibt es viele Gründe. Sie können ihren Ursprung in der Ausrüstung der Strecke haben. Oder es kann am Zug selbst liegen. Meistens handelt es sich um eine Kombination aus mehreren Gründen. Außerdem ist leider kein einfacher, kontinuierlicher Verbesserungsprozess möglich, neue Technologien stellen immer wieder neue Herausforderungen an die Mobilfunknetze.
Im Auto lässt sich dagegen inzwischen recht zuverlässig telefonieren.
Das bestätigen auch grundsätzlich unsere Messungen. Es gibt natürlich auch dort noch Optimierungspotential. Aber Sie haben Recht: In Zügen stellen sich beim Mobilfunkempfang noch ganz andere und teils größere Herausforderungen.
Welche Herausforderungen gibt es denn beim Mobilfunkempfang in Zügen?
Nehmen Sie nur mal die schiere Menge an Handys innerhalb eines Personenzuges. Da kann es schon mal passieren, dass innerhalb von Sekunden 400 oder mehr Geräte in eine Funkzelle reinrauschen. Das sind Peaks, die müssen Sie erstmal abfedern mit speziellen Lösungen. Eine weitere Herausforderung ist die Beschaffenheit der Züge, die per se eigentlich undurchlässig für Mobilfunksignale sind. Da sind gezielte bauliche Maßnahmen notwendig, um den Empfang zu verbessern.
Beispielsweise werden Fenster entsprechend gelasert, damit sie durchlässiger werden.
Eine effektive Maßnahme: Muster werden in die Wärmeisolationsschicht der Fenster eingebracht, damit sie durchlässiger werden. Neue Züge insbesondere im Fernverkehr werden heute schon fast gar nicht mehr ohne diese Fenster ausgeliefert. Und genau da kommen wir uns Spiel: Um zu erfahren, welche Muster die besten Ergebnisse liefern, müssen viele Messungen durchgeführt werden, die die Mobilfunkqualität außen und innen vergleichen.
Wenn Sie die Netzqualität in Zügen oder an Strecken messen: Wer sind Ihre Auftraggeber – die Mobilfunkanbieter oder die Zugbetreiber?
Als wir 2008 erstmals im Bahnsektor aktiv wurden, waren unsere Auftraggeber fast ausschließlich die Mobilfunkanbieter, sprich die Telekom, O2 oder Vodafone. Inzwischen sind auch Zugbetreiber immer häufiger unsere Kunden. Dazu gehören etwa die Deutsche Bahn oder die Schweizer Bundesbahnen.
Warum geht der Trend zum Bahnbetreiber?
Es setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, wie wichtig ein guter Netzempfang für den Komfort des Kunden ist. Die Fahrgäste wollen telefonieren, im Internet surfen – auch, um zu arbeiten. So lassen sich auch Verspätungen häufig besser verkraften. Aber auch andere Services und Betriebsabläufe der Bahnbetreiber sind auf Funk angewiesen wie eine mobile Ticketkontrolle, Bezahlung mit Kreditkarte oder die digitale Übermittlung des Abfahrauftrages.
A propos Betriebsabläufe – welche Rolle spielt für Sie die Umstellung auf FRMCS, das Nachfolgesystem von GSM-R?
Diese Umstellung ist ein spannendes Thema. Um einen störungsfreien Betrieb zu gewährleisten, müssen mögliche Wechselwirkungen zwischen betriebsrelevanten Systemen und den öffentlichen Mobilfunknetzen aufgedeckt werden. Auch hier sind unsere Messsysteme im Einsatz.
Wie sieht dann der typische Arbeitsauftrag eines Bahnbetreibers an NET CHECK aus?
Dabei geht es in der Regel darum, die Mobilfunkversorgung entlang der Strecke, wir nennen das Außensituation, sowie die Qualität des Mobilfunkempfangs innerhalb von Zügen zu messen. Ein solcher Auftrag braucht eine gewisse Vorlaufzeit. Denn unsere Geräte müssen ja in den Zügen verbaut werden.
Sie installieren Ihre Messgeräte fest in den Zügen? Warum gehen Sie nicht einfach mit ihnen durch die Züge?
Die Messergebnisse wären viel zu ungenau. Um zuverlässige Daten zu erheben, brauchen Sie eine Fülle an Messungen, die an definierten Punkten aufgenommen werden. Nur so erhalten Sie am Ende genügend zuverlässige Daten, die miteinander verglichen werden können. Solche Datenmengen, insbesondere für kontinuierliche Verbesserungen können nur durch fest installierte Systeme aufgenommen werden. Eine Aufzeichnung mit Messtechnikern wäre hier viel zu kostspielig. Durch den Einsatz autonomer Messsysteme können wir viel effizienter arbeiten.
Wie sieht so ein autonomes Messgerät ganz konkret aus, das Sie typischerweise in einem Zug verbauen?
Unsere Messgeräte beinhalten ein handelsübliches Handy, das wir für den Bahneinsatz modifizieren und aus der Ferne steuern können. Es ist Teil unserer Messbox, die automatisch Vorgänge auslöst wie Telefonate oder das Verschicken von Whatsapp-Nachrichten und E-Mails. Sie stellen außerdem sicher, dass das Handy korrekt und im Dauerbetrieb läuft. Das Handy kann dabei über verschiedene SIM-Karten arbeiten, um den Empfang verschiedener Mobilfunkbetreiber zu messen. Diese Geräte messen den Netzempfang im Innenraum des Zuges aus Kundensicht. Für die Außensituation wiederum kommen hochpräzise Frequenzscanner zum Einsatz, die mit einer Dachantenne verbunden sind. Die erhobenen Daten gehen an unsere Zentrale in Berlin und werden dort per Software ausgewertet.
Sind Ihre Geräte entsprechend zertifiziert, damit sie in Zügen verbaut werden können?
Definitiv. Ob in Fragen des Brandschutzes oder der elektromagnetischen Verträglichkeit: Die Anforderungen an die Geräte sind hoch und es hat uns einiges an Aufwand gekostet, im Bahnsektor aktiv zu werden. Hinzu kommen immer wieder individuelle Ansprüche unserer Kunden, die erfüllt werden müssen.
Was sind das für individuelle Ansprüche?
Um Ihnen nur eine Anekdote zu erzählen: Als wir von den SBB beauftragt wurden, hieß es beispielsweise, unsere Geräte müssten speziell resistent gegen Salznebelschwaden sein.
Gegen Salznebelschwaden? Aber die Schweiz liegt doch gar nicht am Meer.
Das dachten wir uns auch. Der Hintergrund des Kundenwunsches: Die SBB wollten Messungen in Zügen vornehmen, die verstärkt Skifahrer befördern. Sie halten ihre Skischuhe gerne an die Heizungen im Zug, um ihre Füße zu wärmen. Und weil die Wege zum Zug oft mit Salz gestreut sind, entstehen eben Salznebelschwaden, die natürlich zu erhöhten Korrosionsrisiken führen. Aber auch dieses Problem haben wir gelöst!
Abschließend noch eine politische Frage: Der Ausbau von 5G, der Trägertechnologie für FRMCS, entlang der Bahnstrecken geht einher mit einer Diskussion über den Einsatz von Technologie des chinesischen Konzerns Huawei. Es heißt, die Technik sei hochwertig und preisgünstig. Wie sehen Sie diese Diskussion?
Generell ist eine Unabhängigkeit von Bauteilen in Kritischen Infrastrukturen, die möglicherweise Schnittstellen nach China besitzen, sicher nichts Falsches. Die politische Debatte über die aktuelle Technik wird aber oftmals zu wenig
technisch geführt. Betrachtet man die möglichen Auswirkungen und auch Kosten zur Umrüstung, sollten auch andere Optionen stärker betrachtet werden. Zum einen die Unterscheidung nach passiven Komponenten wie reinen Antennen und aktiven Netzkomponenten. Letztere sind die in der Debatte risikobehafteten Komponenten, für die es durchaus aber auch andere Ansätze geben könnte. Denkbar wäre beispielsweise eine Pflicht zur Offenlegung von Quellcode der Komponenten, damit Sicherheitsbehörden eine Unbedenklichkeit transparent nachvollziehen können und beispielsweise in der Lage sind, Firmware-Versionen zu kompilieren und für die Verwender freizugeben. Angesichts der Umrüstungskosten verschiedener Netze könnte sich solch ein Aufwand lohnen.
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